Montag, 27. März 2023

Wie macht man Bücher super lesbar, Frau Aprile?


Bei Beltz haben wir einen besonderen Schwerpunkt auf der Leseförderung, vor allem im Programmbereich Gulliver. Dabei stehen Lesbarkeit in Form und Inhalt an vorderster Stelle. Die Herausforderungen dabei liegen nicht nur bei Autor:innen und Lektorat, sondern auch bei denen, die die Bücher herstellen. Dabei spielen Satz und Typografie (also die Gestalt der Schrift sowie das Schriftbild), die verwendeten Materialien und die Platzierung von Bildern und Illustrationen eine entscheidende Rolle.

Einblicke von Nancy Aprile aus der Herstellung

Buchstabe ist nicht gleich Buchstabe

Aus der Forschung wissen wir, dass es mehrere Faktoren gibt, die einen gedruckten oder digitalen Text leicht lesbar machen. Das Wichtigste: Buchstaben und Wörter müssen gut voneinander unterscheidbar sein. D.h., dass sich Buchstaben nicht zu sehr ähneln dürfen und abgeschlossene Wörter als solche durch bspw. ausreichend große Wortabstände erkennbar sind. Das ist vor allem in den Anfängen des Lesenlernens wichtig, weil Kinder das „flache“, eindimensionale Erkennen von Buchstaben aus ihrem alltäglichen Leben nicht kennen. Studien haben gezeigt, dass Kinder dabei eine sehr kreative Herangehensweise an die Wahrnehmung von Buchstabenformen haben. So ist beispielsweise für viele Kinder ein „P“ nur ein auf den Kopf gestelltes „d“ (oder umgekehrt). Also lesen sie „penken“ anstatt „denken“ und denken sich nichts dabei. Daher ist es auch so wichtig, sich ähnelnde Buchstaben typografisch voneinander abzuheben. Das große „I“ sollte sich vom kleinen „L“ unterscheiden usw. Auch das Unterscheiden einzelner Wörter muss den Leser:innen möglichst leichtfallen. Sonst vermischen sich Wörter, die eigentlich nicht zusammengehören und der Lesefluss kommt ins Stocken. Außerdem spielt natürlich auch die Schriftgröße eine Rolle. Hier versuchen wir immer, ein gesundes Mittel zwischen „gut erkennbar“ und „zu groß zum leichten Lesen“ zu finden.

 

Bei den super lesbaren Büchern achten wir z.B. insbesondere darauf, dass immer ausreichend Zeilenabstand vorhanden ist. Denn ein optimaler Zeilenabstand verhindert, dass man beim Lesen in der Zeile verrutscht und plötzlich nicht mehr weiß, wo man war oder der Sinn der Sätze nicht mehr stimmt. Besonders wichtig ist auch der sogenannte „Umbruch“, also die Art und Weise, wie eine Seite beendet bzw. neue Seite begonnen wird. Für eine möglichst leichte Lesbarkeit sollte sich ein einzelner Satz nicht über mehrere Seiten erstrecken, also jede Seite mit einem Punkt beendet und jede neue Seite mit einem neuen Satz begonnen werden. Auf Worttrennungen ist komplett zu verzichten, denn diese Unterbrechungen machen das Lesen besonders unangenehm.

Viele unserer Bücher sind illustriert, um den Inhalt zu visualisieren und damit das Verständnis zu fördern. Wir arbeiten dabei stets mit professionellen Illustrator:innen zusammen. Beim Platzieren der Illustrationen ist es besonders wichtig, dass diese den Lesefluss nicht stören. Also setzen wir sie immer entweder oben oder unten auf eine Seite.

Auf das Papier kommt es an

Wer schon einmal eine Dudenausgabe in der Hand hatte, kann erahnen, wie wichtig das Papier ist. Denn die Seiten auf dem meist sehr dünnen Papier dieser Ausgaben sind stark durchscheinend. D.h., dass die Schrift der übernächsten (oder vorletzten) Seite auf der aufgeschlagenen Seite erkennbar ist. Das macht das Schriftbild sehr unruhig und kann den Lesefluss durcheinanderbringen, weil Buchstaben und Wörter nicht mehr so leicht voneinander zu unterscheiden sind. Daher ist es für eine gute Lesbarkeit entscheidend, sogenanntes „opakes“ Papier zu verwenden, also blickdichtes Papier, das nicht durchscheint. Auch darf das Papier nicht zu stark gebleicht sein. Zu weißes Papier kann dazu führen, dass die Buchstaben und Wörter vor dem Auge verschwimmen. Außerdem begünstigt es sogenannte „tanzende Buchstaben“, die vor allem im Zusammenhang mit der Winkelfehlsichtigkeit auftreten. Auf keinen Fall darf das Papier glänzend sein, um Spiegelungen zu vermeiden, die das Lesen erschweren. Unsere Geschichten werden also immer auf opakem, mattem und leicht gelblichem Papier gedruckt, damit die Texte super lesbar sind.

Einmal aufschlagen muss reichen

Zuletzt spielt auch die „Bindung“ eine Rolle, also die Art und Weise, wie die Bögen (16 Seiten ergeben einen Bogen) gebunden sind. Wir verwenden für unsere Gulliver-Bücher ausschließlich eine sogenannte Klebebindung. Dabei werden die Bögen mit einer Maschine hinten am Buchrücken zusammen- und der Umschlag angeklebt. Besonders wichtig ist dabei das „Aufschlagverhalten“. Wie fühlt es sich also an, wenn das Buch geöffnet wird? Bleibt es beispielsweise von selbst geöffnet? Es kann passieren, dass bei einer schlechten Bindung die Seiten von selbst umschlagen und Leser:innen also ständig darauf achten müssen, dass die Seite, die sie gerade lesen, auch aufgeschlagen bleibt. Wir achten darauf, dass das nicht passiert. Denn jede Ablenkung stört beim Lesen und sorgt dafür, dass Wörter verlorengehen, der Lesefluss ins Stocken gerät oder der Sinn abhandenkommt. Deswegen verwenden wir für viele unserer Bücher bei Gulliver Hardcover. Denn ein gebundenes Buch hat meist ein sehr viel besseres Aufschlagverhalten als ein Taschenbuch oder eine sogenannte Klappenbroschur (Paperback).

Es gibt also viel zu beachten, um Bücher super lesbar zu machen. Bei Gulliver legen wir darauf besonderen Wert und haben unterschiedliche Konzepte entwickelt, um unsere Geschichten nicht nur auf der inhaltlichen, sondern auch auf der praktischen und formalen Ebene besonders leicht lesbar zu machen. So leisten wir in der Herstellung unseren Beitrag dazu, möglichst vielen Leser:innen Erzählwelten zu eröffnen, in den sie sich verlieren können und die sie faszinieren.