Mittwoch, 11. Oktober 2023

Mitlesen, Mitreden, Mitteilen

Anja Janotta schreibt seit dem Alter von elf Jahren Kinderbücher. Seit 2015 werden diese Bücher auch veröffentlicht. 13 sind bis jetzt erschienen, drei davon bei Gulliver, zwei in der Reihe »Super lesbar«. Ihr Schwerpunkt: Alltagsnahe und witzige Geschichten für Kinder, die – aus verschiedenen Gründen - nicht so gern viel lesen. Die Inspiration dazu kommt sehr oft direkt aus dem Publikum.

Wo gute Ideen ihren Ursprung haben

Von den besten Plotideen weiß man innerhalb von Zehntelsekunden, dass sie gut sind. So war es auch bei der »Nacht in der Schule«. Dabei stammt der ursprüngliche Einfall für diese Geschichte nicht mal von mir, sondern von ehemaligen, sehr pfiffigen Fünftklässlern aus Heilbronn. Deren Klassensprecher Timm meldete sich im Anschluss einer meiner Lesungen zu Wort: »Wollen Sie nicht mal was über uns schreiben? Wir sind nämlich eine echt coole Klasse. Wir hätten da auch schon eine Idee: Es geht um eine Klasse, die heimlich und ohne Lehrer nachts in der Schule übernachtet.« Ja. Ich wusste im Bruchteil einer Sekunde: Das ist es! Und beinahe genauso schnell hatte ich die weiteren Elemente des Plots assoziiert: Wer ist der Bossgegner? Was passiert mit der Klasse?  Welche Bombe platzt im Showdown? Alles sofort da.

Ehrensache, dass die Klasse 5b der Robert-Mayer-Schule ihre persönliche Widmung in »Die Nacht in der Schule« bekommen hat. Für mich ist es immer noch das Allertollste, dass ich umgekehrt von dieser Klasse ein Exemplar habe, das alle Schüler:innen für mich signiert haben. Auf Lesungen zeige ich dieses Büchlein gerne stolz herum und bewache es mit Argusaugen. Im Anschluss purzeln meistens die nächsten Einfälle für neue Plots nur so heraus aus den Zuhörenden.

So entstand – quasi als ein Zusammenspiel ähnlicher Zurufe verschiedener Klassen – das jüngste Buch bei Gulliver: »Klassenfahrt außer Kontrolle« (erschienen am 16. August 2023). Hier geht eine Parallelklasse der Helden aus »Die Nacht in der Schule« in die Berge. Schon bald muss sich die Klasse, bis dahin tief verstritten und verschrien, ohne Lehrkräfte durch widrigste Gefahren schlagen: Gewitter, Lawinenabgänge und ein unpassierbarer Rückweg.

Das Thema Klassenfahrt und eine Gemeinschaft, die inmitten größter Gefahren plötzlich auf sich gestellt ist – das ist ein Motiv, was mir immer wieder als neue Buchidee vorgeschlagen wurde. Es ist also ein Thema, das gewissermaßen unter den Nägeln brennt. Manchmal kommen von den Schüler:innen auch noch waghalsigere Plot Vorschläge: »Der Junge mit den Spaghetti-Haaren« zum Beispiel oder »Die Space-Prinzessin« oder »Der Weihnachtsmann, der die Geschenke vergessen hat«. Vielleicht, denke ich in diesen megakreativen Brainstormings, sollte ich das mit der Ideenfindung gleich ganz sein lassen und es komplett ans Publikum delegieren. Eine bessere Marktforschung, womit sich die Leser:innen gern identifizieren würden, gibt es ja wohl kaum.

Mit super lesbaren Büchern anstecken zum Mitlesen – und Mitmischen

Was mich besonders freut, ist, dass es zwei dieser bestechenden und in einem Satz erklärten Ideen in die Reihe »Super lesbar« geschafft haben. Und beide Einfälle dazu sind originär nicht von mir. Ich glaube ja, das ist kein Zufall. Weil beides zusammenhängt. Eine Geschichte, die zum Lesen animiert, und die Freude am Mitgestalten neuer Geschichten. Mitmachen, mitreden – das macht selbstbewusst und stärkt das Vertrauen, da draußen irgendwie mitmischen zu können. Lesen können ist schließlich eines der wichtigsten Instrumente der Demokratie.

Warum ich glaube, dass wir genau deshalb super lesbare Bücher brauchen? Vielleicht erzähle ich dazu noch was von einer anderen Lesung von mir zu einem anderen Buch (das dreht sich ausgerechnet, um Demokratie,). Eine Lehrerin kam danach zu mir. Eine tolle Lehrerin, was ich in den kurzen Minuten so miterleben konnte: sehr engagiert und ganz individuell liebevoll zu den Kindern in ihrer bunt gemischten Klasse, von denen nicht alle gleich gut Deutsch verstehen. Deshalb legt sie den Kindern im Deutschunterricht Texte in dreierlei Schwierigkeitsgraden vor – ganz leichte, mittlere und normale Verständlichkeit.

»Es tut mir leid«, sagte sie anschließend. »Ihr Buch ist wirklich super. Aber als Klassenlektüre leider völlig ungeeignet – es ist für die meisten meiner Kinder viel zu schwer zu lesen.« Das hat mich danach lange beschäftigt. Denn eigentlich dachte ich ja, eben dieses Buch sei eher normal schwierig. Aber trotzdem verstehen es nicht alle, trotzdem schreibe ich für viele immer noch zu kompliziert. Wenn wir aber nun wollen, dass wirklich alle und nicht nur ein paar mitreden können, braucht es genau für diese gemischten Klassen vielleicht doch noch mehr super lesbare Klassenlektüre mit leichtem Schwierigkeitsgrad. Denn wer liest und die Sprache sukzessive besser versteht, kann sich ebenso sukzessive die Mitsprache erobern, Anteil haben am gesellschaftlichen Geschehen, findet einen guten Platz im Berufsleben, usw.

Es ist jedenfalls eine ansteckende Freude, aus den super lesbaren Büchern vorzulesen und dann mitzubekommen, wie die Geschichten weitergedacht werden, wie neue Anregungen auftauchen und kleine Geniestreiche geboren werden – und wie die Kinder daran wachsen. Und die Klassen aus »Die Nacht in der Schule« und »Klassenfahrt außer Kontrolle« haben ja noch so einige Parallelklassen, denen spannende Abenteuer begegnen könnten … Ich horch mich mal weiter um.